Bis vor wenigen Jahrhunderten haben wir noch sehr stark im Einklang mit der Natur gelebt. Dabei mussten wir uns ständig an äußere Faktoren anpassen, was dazu beitragen hat, die ganze Welt besiedeln zu können und uns zu einem flexiblen, intelligenten, einfallsreichen Alleskönner gemacht hat.
Mittlerweile sind wird das einzige Lebewesen, dass sich nicht mehr seiner Umwelt anpasst, sondern die Umwelt nach den eigenen Vorstellungen gestaltet. Viele Erfindungen machen uns das Leben leichter und sicherer, gleichzeitig verschwindet dadurch aber auch die Notwendigkeit für Anpassung.
Durch unsere langes Zeit in der Natur sind wir optimal ausgestattet, um den vielen Umweltbedingungen zu trotzen:
- Bei Kälte können unsere Mitochondrien Wärme produzieren
- Bei Hitze dienen Blut- und Schweißfluss als Kühlsystem
- Bei Nahrungsmangel sorgen Leber, Fettgewebe und Stressachsen (mit Hormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol) für Energieversorgung
- Bei Wassermangel hält die Niere Wasser und Mineralien zurück, gleichzeitig stimmen uns Hormone wie Oxytocin und Serotonin friedlich, um am nächsten Wasserloch neben eigentlichen Fressfeinden den Durst zu stillen (1)
- Unser Immunsystem schützt uns vor Pathogenen im Essen und der Umwelt, heilt Wunden, die wir uns bei der Jagd oder im Kampf zugezogen haben und macht uns Widerstandsfähig
- Unsere Muskeln können uns Kilometerweit voranbringen, können unser Körpergewicht an steilen Hängen hochziehen, Kinder oder Nahrung tragen und Unterschlüpfe bauen
- Unser präfrontaler Kortex lässt uns planen und in die Zukunft denken - wir können uns organisieren und unglaublich tolle Dinge mit unseren Gedanken erschaffen
All diese Fähigkeiten und noch mehr haben wir entwickelt, weil es notwendig war, um zu Überleben. Um zu überleben mussten wir flexibel sein und mit Stressfaktoren wie Hitze, Kälte, Pathogenbelastung, Nahrungs- und Wassermangel gut umgehen können.
Aus Chaos wird Ordnung
Diese Anforderungen lösen in unserem Körper eine Abweichung des Gleichgewichtes aus, auch Homöostase genannt. Zu diesem Zustand will unser Körper schnellstmöglich wieder zurückkehren und nutzt die genannten Mechanismen, die sich dadurch, dass die gebraucht und genutzt werden, wieder anpassen und effizienter werden. Dieses Prinzip ist auch aus dem Sport als „Superkompensation“ bekannt. Wir werden widerstandsfähiger, WEIL wir mit Stress konfrontiert werden, der zyklisch auf uns einwirkt.
Belastung muss eine Phase der Erholung folgen.
Daran sind wir angepasst. So läuft das schon seit Millionen von Jahren. Es ist ein Auf und Ab, zwischen Sicherheit und Gefahr. Zwischen Essen und Hungern. Zwischen Bewegung und Ruhen.

Ohne Chaos keine Notwendigkeit zur Anpassung
Vieles wird sicherer und einfacher, wenn wir unsere Umgebung an uns anpassen. Es ist unfassbar toll, in einem bequemen Bett und in den eigenen 4 Wänden schlafen zu können, ohne zu frieren oder Angst haben zu müssen. Es ist toll, sich über das Internet mit der ganzen Welt in Verbindung setzen zu können oder mit dem Auto in kurzer Zeit große Strecken zurücklegen zu können. Und auch, dass wir hier nicht mehr Hungern müssen.
Allerdings entfernen wir uns damit auch immer mehr davon, uns überhaupt anpassen zu müssen. Der Spruch „use it or loose it“ trifft nicht nur auf Muskeln zu, die nicht mehr genutzt werden. Sondern auch auf alle anderen Mechanismen, die uns ursprünglich so Anpassungsfähig gemacht haben (2,3,4,5).
- Ohne Kältereize, werden wir intolerant gegenüber Kälte
- Ohne Hitzereize, werden wir intolerant gegenüber Wärme
- Ohne Hungerreize, werden wir intolerant gegenüber Energiemangel
- Ohne Immunreize, werden wir intolerant / übersensibel gegenüber Pathogenen
- Ohne kognitive Reize, sinkt der IQ
usw.
Jetzt denkst du vielleicht: „naja aber wenn wir doch eh alles komfortabel gestalten in unserer Umgebung, dann brauchen wir doch keine Anpassungsfähigkeit mehr?“ Und der Gedanke liegt ja nahe.
Wenn die Systeme, die eigentlich für optimale Anpassung sorgen, abschwächen, weil sie nicht genutzt werden, werden sie rigide und unflexibel.
Das zeigt sich dann in einer schlechteren Immunfunktion, in chronischen Entzündungen und auch im Verhalten. Denn dann wollen wir nichts mehr verändern und alles beim Alten belassen. Und wir sind absolut nicht mehr belastbar auf vielen Ebenen. Wirkt dann ein neuer Stressfaktor auf uns ein, wie zB ein Virus, sind wir dementsprechend schlechter in der Lage damit umzugehen.
Und das ist das große Problem, neben der schlechteren Anpassungsfähigkeit: wir sind kaum noch konfrontiert mit den altbekannten Herausforderungen, haben uns aber dafür sehr viele neue „urbanen“ Stressfaktoren geschafften, die uns rund um die Uhr umgeben (2,3,4,5):
- Bewegungsmangel
- Nährstoffmangel
- Entzündungsfördernde Lebensmittel
- Umweltgifte aus der Luft, dem Boden, dem Wasser
- Psychoemotionaler Stress
- Technik und schnelle Belohnungen
- Kunstlicht
Die dauerhafte Abweichung vom inneren Gleichgewicht, sorgt für dauerhaft aktive Stressachsen. Sorgt für dauerhaft einseitige Energieverteilung. Sorgt für eine dauerhafte Immunaktivierung. Denn das sind die einzigen Strategien, die unser Körper bisher entwickelt hat, um auf Gefahr zu reagieren.
Diese Strategien waren in der Vergangenheit immer nur kurzfristig notwendig - entweder der Mensch hat es geschafft innerhalb ein paar Tagen wieder zum Gleichgewicht zurückzufinden, oder ist gestorben. Heute haben wir uns ein Umfeld geschaffen, dass uns selbst mit gravierenden, anhaltenden Ungleichgewichten am Leben halten kann.
Es fehlt der Wechsel zwischen Belastung und Erholung. Und da unser Körper keine andere Möglichkeit hat, darauf zu reagieren, enden wir unter anderem bei einem chronisch aktiven Immunsystem als einzige Schutzstrategie, die aber nie für den Dauergebrauch entwickelt wurde (2,5).
Bring wieder mehr Chaos in dein Leben
Mit intermittierenden Reizen ist es möglich, deinen Körper wieder ganz gezielt darin zu schulen, mit altbekannten Herausforderungen umzugehen. Das führt zur Anpassung auf vielen Ebenen. Du setzt dich also mal wieder ganz bewusst und gezielt einem Stressfaktor aus, mit dem dein System auch umzugehen weiß. Mehrere Studien zeigen den positiven Effekt solcher Interventionen auf Gesundheit und Immunfunktionen bereits sehr deutlich (6,7,8,9,10).
Dabei wurden unter anderem folgende Maßnahmen umgesetzt:
- Intermitteriendes Fasten und Bewegung vor dem Essen
- High Intensity Training
- Kältetraining
- Hitzetraining
- Artgerechte Ernährung
- Atemübungen
- Soziale Kontakte
- Zeit in der Natur
- Erholungsphasen
Bekannt ist das ja aus dem Sport: Du setzt zB mit Hilfe von Gewichten einen Reiz, gibst noch eine Prise Erholung und gute Ernährung dazu und mit etwas Geduld und Beständigkeit werden deine Muskeln sich anpassen und wachsen. Du wirst durch die Belastung widerstandsfähiger. Dieses Prinzip können wir uns natürlich auch in anderen Bereichen der Gesundheit zu nutze machen:
- Mitochondrien passen sich durch Kältetraining an, sie vermehren sich und das hat neben der besseren Kältetoleranz viele Auswirkungen auf die Gesundheit - zB dein Energielevel oder deine Konzentration.
- Dein Stoffwechsel wird flexibler durch intermittierendes Fasten, du provozierst also mal wieder ein Hungergefühl. Das hat unter anderem positive Effekte auf Energielevel, Konzentration, Langlebigkeit, Körperfettanteil und Immunfunktionen.
- Die Verwertung von Sauerstoff und essen Aufnahme, werden besser, durch intermittierende Hypoxie. Dabei provozierst du durch Atemübungen einen vorübergehenden Sauerstoffmangel.
- Dein Immunsystem wird trainiert, wenn du dir mal ein paar Kratzer holst, wenn du mal mit Dreck in Berührung kommst und einfach Zeit in der Natur verbringst
Intermitterende Reize helfen uns dabei, gut mit Herausforderungen umgehen zu können. Sie steigern die körperliche und mentale Widerstandsfähigkeit, machen uns belastbarer und haben damit einen erheblichen Einfluss auf die Prävention von chronisch-entzündlichen Erkrankungen.
- Pruimboom, L., & Reheis, D. (2016). Intermittent drinking, oxytocin and human health. Medical hypotheses, 92, 80–83. https://doi.org/10.1016/j.mehy.2016.04.043
(2) Bosma-den Boer, M. M., van Wetten, M. L., & Pruimboom, L. (2012). Chronic inflammatory diseases are stimulated by current lifestyle: how diet, stress levels and medication prevent our body from recovering. Nutrition & metabolism, 9(1), 32. https://doi.org/10.1186/1743-7075-9-32
(3) Freese, J., Klement, R. J., Ruiz-Núñez, B., Schwarz, S., & Lötzerich, H. (2018). The sedentary (r)evolution: Have we lost our metabolic flexibility?. F1000Research, 6, 1787. doi:10.12688/f1000research.12724.2
(4) Freese J, Klement RJ and Lötzerich H. The inflammation paradox: Why are Tsimane protected against Western diseases while Westerners are not? [version 2; referees: 1 approved, 1 approved with reservations]. F1000Research 2018, 7:252
(5) Ruiz-Núñez, B., Pruimboom, L., Dijck-Brouwer, D. A., & Muskiet, F. A. (2013). Lifestyle and nutritional imbalances associated with Western diseases: causes and consequences of chronic systemic low-grade inflammation in an evolutionary context. The Journal of nutritional biochemistry, 24(7), 1183–1201. https://doi.org/10.1016/j.jnutbio.2013.02.009
(6) de Cabo, R., & Mattson, M. P. (2019). Effects of Intermittent Fasting on Health, Aging, and Disease. The New England journal of medicine, 381(26), 2541–2551. https://doi.org/10.1056/NEJMra1905136
(7) Pruimboom, L., & Muskiet, F. (2018). Intermittent living; the use of ancient challenges as a vaccine against the deleterious effects of modern life - A hypothesis. Medical hypotheses, 120, 28–42. https://doi.org/10.1016/j.mehy.2018.08.002
(8) Pruimboom, L., Ruiz-Núñez, B., Raison, C. L., & Muskiet, F. A. (2016). Influence of a 10-Day Mimic of Our Ancient Lifestyle on Anthropometrics and Parameters of Metabolism and Inflammation: The "Study of Origin". BioMed research international, 2016, 6935123. https://doi.org/10.1155/2016/6935123
(9) Freese, Jens; Ruiz-Núñez, Begoña; Heynck, Regula; Schwarz, Sebastian; Pruimboom, Leo; Renner, Robert; and Lötzerich, Helmut (2016) „To Restore Health, “Do we Have to Go Back to the Future?” The Impact of a 4-Day Paleolithic Lifestyle Change on Human Metabolism – a Pilot Study.,“ Journal of Evolution and Health: Vol. 1: Iss. 1, Article 12.
(10) Freese J. Untersuchungen zum Einfluss einer simulierten steinzeitlich-orientierten Lebensstiländerung auf metabolische Parameter. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Naturwissenschaft. Dissertation, Köln 2017.
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